Die Landessymbole spielen im Alltag eine weit größere Rolle als etwa in Deutschland. Wird – und sei es bei der Weihnachtsfeier eines Kindergartens – die Nationalhymne gespielt, so haben alle Anwesenden sich zu erheben und bis zum letzten Ton stehen zu bleiben. Dasselbe gilt, wenn die Landesfahne gehisst wird. Zur nationalen Ikonographie müssen auch die jeweiligen Präsidentenporträts gezählt werden, allen voran das von Staatsgründer Jomo Kenyatta, der lange jeden Geldschein schmückte. Inzwischen wird die politische Ikone ersetzt durch Kenias Wildtiere. Im Gegensatz zu den Zeiten Daniel Arap Mois wird der Personenkult um den Staatschef ohnehin nicht mehr ganz so strikt betrieben. Früher waren in jedem Geschäft und jeder Amtsstube Porträts des amtierenden Präsidenten sichtbar aufgehängt, heute ist das kein Muss mehr, auch wenn sich nach wie vor viele daran halten.
Die kenianische Flagge und das Staatswappen lehnen sich in Teilen an die äthiopischen Symbole an (rot, grün, Löwen); Jomo Kenyatta hat Kaiser Haile Selassie Mariam sehr verehrt. Das niemals kolonisierte Äthiopien war den panafrikanischen Unabhängigkeitskämpfern ein Vorbild. Das Wappen drückt Kampf und Verteidigungsbereitschaft aus und appelliert mit dem Slogan Harambee an die nationale Einheit, die das multitethnisch geprägte Land 1963 ja erst erzeugen musste. Harambee bedeutet so viel wie «Lasst uns alle an einem Strang ziehen», alle mit anpacken und das Land aufbauen. Leider wurde der Ansatz später diskreditiert durch dubiose Spendenveranstaltungen, Harambee genannte Wohltätigkeitsfeste, die letztlich den Zwecken der Korruption dienten.
Die Farben der kenianischen Flagge deuten viele Kenianer so: Schwarz steht dafür, dass Kenia ein afrikanisches Land ist, Rot für die Leiden beim Kampf um die Unabhängigkeit und Grün für die Zukunft und Fruchtbarkeit des Landes. Der Schild mit den zwei Speeren steht für die afrikanische Tradition und die Wehrhaftigkeit kenianischer Krieger.
In der kenianischen Nationalhymne, deren Melodie auf ein Pokomo Volkslied zurückgeführt wird, werden mehrfach die Einheit und eine künftige Zeit des Überflusses beschworen. Den Text der Hymne in Kiswahili und Englisch finden sie ebenso im Netz wie die Melodie als
Instrumentalversion oder gesungen von Kindern einer ländlichen Schule.
Geschichte & Staat
Aktuelle Politik, staatliche Strukturen und historische Hintergründe: Kenia ist geprägt von Migrationsbewegungen unterschiedlicher Kulturen. Es ist ein kreativer Schmelztiegel, der für Politik, Handel und Austausch in ganz Ostafrika eine bedeutende Rolle spielt. Doch Korruption, Konflikte um Land und Einfluss, aber auch der wachsende Terror radikaler Islamisten destabilisieren das Land.
Tag der Unabhängigkeit
12. Dezember 1963
Staatsoberhaupt
Präsident Uhuru Kenyatta
Vizepräsident
William Ruto
Politisches System
Präsidiale Demokratie
Demokratie Status-Index (BTI), 2020
Rang 79 (2018: 53): Stark defekte Demokratie
Korruptionsindex TI (CPI), 2019
Rang 137 (von 180, verbessert von Rang 144)
Als Nation beging Kenia am 12. Dezember 2013 den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit. Aber in den meisten Handbüchern beginnt die Geschichte Kenias mit den archäologischen Funden von Skeletten früher Hominiden. Bis heute sieht sich das Land, u.a. in den National Museums of Kenya in Nairobi, als cradle of mankind, ein Anspruch, den allerdings auch Äthiopien oder Tansania für sich erheben.
Wie andere Gebiete des Kontinents war auch Ostafrika in den vergangenen 2000 Jahren von Migrationsbewegungen unterschiedlicher Kulturen geprägt, von gewaltsamen Konflikten, aber ebenso von regionaler und internationaler Koexistenz und Handel bzw. Austausch und in jüngerer Zeit von zunehmender Integration.
Die Geschichte der Suaheli-Kultur an der ostafrikanischen Küste spiegelt afrikanische und arabische Einflüsse, besonders gut sichtbar auf Lamu an der Nordküste. Die archäologischen Ausgrabungen in der verlassenen Stadt Gedi geben Zeugnis über urbanen Lebensstil schon vor mehr als 600 Jahren und Handelsverbindungen bis China, ein Fakt, der im Zuge der aktuellen Intensivierung der Beziehungen zwischen China und Kenia häufig betont wird.
Das Gebiet des heutigen Kenia galt schon lange als multiethnisch geprägt, wobei sowohl kriegerische Konflikte als auch Extremwetterereignisse Wanderungsbewegungen und Dauerfehden um Land, Vieh und Wasser auslösten. Stammesmythen, die eine Art ewiges Recht auf bestimmte Ländereien implizieren, sind zu hinterfragen, da nahezu jede Gruppe erst im Zuge von Wanderung dorthin gelangte, wo sie heute zu finden ist. Das diskreditiert nicht jegliche Ansprüche, stellt aber ihre historisierende oder gar mythologische Begründung in Frage. Relativ einig sind sich die Kenianer in der Wahrnehmung, dass der gewaltsame Landraub durch die Kolonialisten seit Ende des 19. Jahrhunderts den Druck auf die Ressource Land massiv verschärfte und eine zuvor so nicht bekannte politische Kultur der the-winner-takes-it-all-Mentalität und diktatorischen Willkür etablierte.
In jüngerer Zeit sind Standardwerke zur afrikanischen und kenianischen Geschichte erschienen, insbesondere seit der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung, die die kenianische Zeitgeschichte in ein komplett neues Licht rücken und die aktuelle Entwicklung besser verständlich machen. Hierbei sind insbesondere die Historiker Charles Hornsby (Kenya. A History Since Independence) und Daniel Branch (Kenya. Between Hope and Despair 1963-2011) hervorzuheben. Einen lesbaren Gesamtüberblick afrikanischer Geschichte bis zur Jahrtausendwende liefert Martin Meredith in The State of Africa. Zudem sind in jüngerer Zeit viele lesenswerte Autobiografien erschienen, darunter die des Oppositionsführers Raila Odinga, des bekennenden schwulen Schriftstellers Binyavanga Wainaina und des wohl bekanntesten Autors Ngugi wa Thiong’o. Wer sich für erlebte Geschichte interessiert, liegt auch mit der Autobiografie der Umweltschützerin Wangari Maathai richtig.
Uhuru heißt Freiheit – der Weg zum Nationalstaat
Der Weg zur Unabhängigkeit am 12. Dezember 1963 (Uhuru Day) ist verbunden mit dem Namen des späteren ersten Präsidenten Jomo Kenyatta und mit der Guerilla-Bewegung ‹Mau Mau›. Im Gegensatz zu anderen afrikanischen Nationen haben sich die Kenianer gewaltsam gegen die koloniale Unterdrückung aufgelehnt und für ihre Freiheit gekämpft und Opfer gebracht. Dies ist Teil des historischen Selbstverständnisses; viele Beteiligte und Zeitzeugen leben noch. Da jedoch nicht alle Gruppen gleichermaßen an diesem Kampf beteiligt waren und sich einige darin gar an die Seite der Briten stellten, bietet nicht einmal der Freiheitskampf eine homogene Projektionsfläche.
Als einer der wenigen Afrikaner, die in der Kolonialzeit Gelegenheit zu einem Universitätsstudium bekamen, schrieb Kenyatta (der Name war ein selbst gewähltes Pseudonym und sollte soviel bedeuten wie «Brennender Pfeil») in Europa seine ethnographische Monographie über die Volksgruppe der Kikuyu «Facing Mount Kenya», die 1938 veröffentlicht wurde. Bereits vorher war er jedoch als Journalist und Agitator aktiv in der Interessenvertretung der afrikanischen Bevölkerung Kenias. Als 1952 erstmals eine geheime Bewegung, die ‹Mau Mau› genannt wurde, durch Überfälle auf die Farmen weißer Siedler von sich Reden machte, wurde Kenyatta von den Kolonialbehörden als Drahtzieher verdächtigt.
Kenyatta wies dies unter anderem in einer Rede vor Anhängern der nach dem Krieg gegründeten Kenya African Union in Nyeri von sich. Trotzdem wurde er am 20. Oktober 1952 mit fünf Mitstreitern (Kapenguria Six) als Rädelsführer verhaftet, abgeurteilt und nahezu ein Jahrzehnt an einem abgeschiedenen Ort in Gefangenschaft gehalten. Zu den kaum gelösten Rätseln der Biografie Kenyattas gehört die Frage, wie er – obwohl nahezu 20 Jahre in Großbritannien und später ein Jahrzehnt in Haft – es schaffen konnte, seine Kontakte zu halten und seinen politischen Einfluss zu wahren bzw. jeweils wiederzubeleben.
Der 20. Oktober ist seit der Unabhängigkeit einer der Nationalfeiertage; lange hieß er Kenyatta Day und wurde mit dem nicht bekannten Geburtsdatum des Politikers verwechselt. Heute heißt er Heldentag, Mashujaa Day, und erweitert so das Gedenken auch auf andere Freiheitskämpfer.
Der im Wesentlichen von den Kikuyu und verwandten Ethnien getragene Mau-Mau-Aufstand veranlasste die Kolonialmacht Großbritannien zu einer Militarisierung des gesamten Lebens in Kenia. Wie viele Kenianer dabei zu Tode kamen, ist unbekannt.
Der Staat war Moi – daran erinnerten sich die Kenianer, als der zweite Präsident Daniel Toroitich Arap Moi am 4. Februar 2020 starb. Er wurde 95 Jahre alt und regierte von 1978 bis Ende 2002. Zu Lebzeiten galt er vielen als Symbol für überbordende Machtfülle an der Staatsspitze. Seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft 1963 ist Kenia eine Republik mit weitreichenden Regierungs- und Machtbefugnissen für den vom Volk direkt gewählten Präsidenten, der gleichzeitig Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist.
Seit 2008 ist das politische System im Umbruch; u.a. wurde zeitweilig das Amt eines Premierministers eingeführt, allerdings ohne dass die Verfassung Auskünfte über dessen Kompetenzen erteilte. Seit der Einführung der neuen Verfassung Ende August 2010 beschleunigt sich der Wandel der staatlichen Strukturen, der im Wesentlichen mit den Worten Stärkung des Parlaments (und damit Begrenzung der präsidialen Machtfülle) und Dezentralisierung zu umschreiben ist. Die Mängel des «alten» politischen Systems vor der Verfassungsänderung listet u.a. der US-amerikanische Council on Foreign Relations auf.
Jeweils gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen finden die Parlamentswahlen statt. Doch der Anspruch der demokratischen Regierungskontrolle durch das Parlament war seit Bildung der Grand Coalition 2008 durch die Tatsache in Frage gestellt, dass nahezu die Hälfte der damals 224 Abgeordneten dem Kabinett angehörten. Auch davor konnten das Parlament und eine potenzielle Opposition zumeist von den jeweiligen Präsidenten ausgebremst werden, entweder durch ein strikt kontrolliertes Einparteiensystem oder/und durch direkten Terror, Staatswillkür und Bestechung. Ob das neue, erheblich erweiterte Parlament mit 350 Sitzen im Unterhaus sowie 67 Sitzen im Senat seine Funktion von Checks und Balances von Legislative und Exekutive besser erfüllen wird als das alte, ist noch nicht absehbar.
2002: Ende der Einparteienherrschaft: Als größten Siegestaumel seit der Unabhängigkeit, als second liberation und demokratischen Aufbruch empfanden eine Mehrheit der Kenianer und viele ausländische Beobachter den Regierungswechsel nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2002. Mwai Kibaki, der Kandidat des Oppositionsbündnisses ‹National Rainbow Coalition› (NARC), wurde neuer Präsident Kenias. NARC konnte die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erringen. Eine Zusammenfassung des schwierigen Transformationsprozesses bis zu den Wahlen 2002 bietet ein Text der Bertelsmannstiftung. Kibaki, ein brillanter Kopf, der schon 1963 der ersten Regierung nach der Unabhängigkeit angehört hatte, hatte sich mit einer Reform- und Antikorruptions-Agenda gegen den jungen Uhuru Kenyatta durchgesetzt, der von dem Kalenjin Moi als Nachfolger auserkoren worden war. Kenia ist eine junge Republik, und vielen Bürgerinnen und Bürgern ist die wechsel- und oft auch leidvolle jüngere Geschichte ihres Staates sehr bewusst.
2002 gingen fast 40 Jahre Regierung der Kenya African National Union (KANU) zu Ende. KANU war für den Staatsgründer und ersten Präsidenten Kenyatta Basis der Macht. Nach Kenyattas Tod 1978 übernahm verfassungsgemäß Vizepräsident Daniel Arap Moi die Führung der Partei und die Präsidentschaft und ließ sich in Wahlen bestätigen. Er regierte bis zum Sieg Kibakis 24 Jahre lang, zunehmend autokratisch bis diktatorisch und ohne Rücksicht auf Demokratie oder Menschenrechte. Im Vergleich zu anderen Staaten Afrikas blieb Kenia in dieser Zeit relativ stabil und loyal zum Westen. In Zeiten des Kalten Krieges übersahen die USA und andere westliche Länder Folter, Gefangennahme und politischen Mord sowie die Korruption.
Doch Kenyatta und insbesondere Moi hinterließen ein schweres Erbe: Ausgehöhlte öffentliche Unternehmen, eine ungesühnte Tradition politischer Morde, ein System politischer Patronage und ein zunehmend tribalistisches politisches Gefüge sowie eine Kultur der Straflosigkeit, impunity, für meist staatlich gelenkte Ausschreitungen, für die sich heute der Strafgerichtshof in Den Haag zuständig sähe. Schon bei den ersten Multiparty-Wahlen 1992 und wieder bei den Wahlen 1997 gab es so genannte ethnic clashes, bei denen jeweils Hunderte Menschen ums Leben kamen und Hunderttausende vertrieben wurden. Der friedliche Machtwechsel 2002 und der korrekte Verlauf des von der Regierung verlorenen Verfassungs-Referendums 2005 täuschten wohlmeinende Beobachter darüber hinweg, wozu Kenias gespaltene Eliten fähig sind, wenn es um die Substanz ihrer wirtschaftlichen und/oder politischen Macht geht.
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Verfasser ist der Historiker und Journalist Stefan Ehlert. Die Urheber wurden informiert, dass auf meiner Tourismusseite zu Kenia die Inhalte veröffentlicht werden.