Die Wirtschaft wächst, es gibt eine Mittelschicht, und der Staat investiert in die Infrastruktur. Doch trotz der Dynamik lebt ein großer Teil der Bevölkerung weiter in Armut.
Geschätztes BIP
ca. 95,5 Milliarden US-$ (Weltbank, 2019)
Pro Kopf Einkommen (kaufkraftbereinigt)
1750 US-$ (Weltbank, 2019)
Rang der menschlichen Entwicklung (HDI)
Rang 147 von 189 in 2018. (2016: 143, 2017:142)
Einkommensverteilung (Gini-Koeffizient)
40,8 (HDR 2018. 2017:48,5)
Bevölkerungsanteil unterhalb der Armutsgrenze $1,9
36,8 % (HDR 2018)
Wirtschaftliche Transformation (BTI 2020)
Rang 71 von 137 (2018: 72)
Wirtschaft
Ein afrikanischer Löwe – stabiles Wachstum, hohe Dynamik. Dann kam Corona. Mit robustem und kontinuierlichem Wirtschaftswachstum von 4 – 6 Prozent galt Kenia lange als Kraftzentrum der ostafrikanischen Wirtschaftsregion, doch wurde für 2020 infolge der Corona Pandemie die Erwartung auf 1,5 Prozent reduziert. Mehr als 5 Prozent Wachstum für 2021 stellte die Weltbank unter den Vorbehalt, dass die Seuche überwunden werden könnte.
Rege Bautätigkeit, massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und ein wachsender Mittelstand waren lange signifikant für die Dynamik der Entwicklung, die nach Ansicht vieler Beobachter die Widerstandsfähigkeit der kenianischen Ökonomie zeigt. Als ein großer Schritt nach vorn – und zugleich ein wunderbarer Termin im Wahlkampf des amtierenden Präsidenten Kenyatta – konnte die Eröffnung der ersten neuen Bahnlinie in 100 Jahren gesehen werden: des Madaraka Express zwischen Mombasa und Nairobi. Ein 3,2 Milliarden Dollar teures Projekt, finanziert und gebaut von chinesischen Investoren, das die Fahrzeit von Mombasa – Nairobi von ca. 12 bis 16 auf 4,5 Stunden verkürzt.
Ob sich die Investition rentiert, ist noch nicht abzusehen. Beschwerden gab es unter kenianischen Bahnmitarbeitern über rassistische Behandlung durch chinesische Kollegen. Doch im Zuge der Corona-Pandemie trübten sich die Aussichten seit März 2020 ein. Insbesondere der Hafen als Umschlagzentrum für ganz Ostafrika drohte an Volumen zu verlieren mit massiven Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die in Kenia stärker als anderswo von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie getroffen werde, wie manche Experten vermuten, darunter der Wirtschaftsprofessor Robert Kappel. Er befürchtet ein Einbrechen des Wachstums und eine Ausweitung der Armut in ganz Afrika.
Als Beispiel aus Kenia nennt er den drohenden Verlust von 150.000 Arbeitsplätzen in der Blumenerzeugung.; Kenia gehöre zu den Staaten, denen die Überschuldung bevorstehe.
Während das Sozialprodukt zu sinken droht, ist die Verschuldung gewachsen, auf mehr als 50 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, da die Staatseinnahmen nicht ausreichen, um Straßen oder Eisenbahnbau zu refinanzieren. Hohe Zinsen und Inflation werfen leichte Schatten. Autoren der Universität der UN in Südafrika waren vor der Corona-Pandemie noch zu dem Schluss gekommen, dass Kenia als neuntgrößte Volkswirtschaft Afrikas und viertgrößte südlich der Sahara zu den «afrikanischen Löwen» zählt. Im Doing-Business-Index 2018 belegte es bereits den 80. Rang von 190 verglichenen Ländern, noch vor Südafrika (82), ein guter Platz in der Region und auch im gesamtafrikanischen Vergleich, wo etwa Ruanda Platz 41 einnimmt, aber Tansania und Uganda 40 bis 60 Plätze im Ranking schlechter abschneiden.
Im Folgejahr steigt Kenia im DBI 2019 auf Platz 61 und im Jahr darauf bereits auf Platz 56 auf, woraus sich ein Trend zu einer an den Erfordernissen der Wirtschaft ausgerichteten Politik ablesen lässt. Allerdings wurde der Index im August 2020 nach Kritik vorläufig eingestellt. Aus Sicht des Bertelsmann-Transformation-Index 2020 (BTI) ist die Transformation der Wirtschaft jedoch nur als stark eingeschränkt zu betrachten, Rang 71 unter 137 verglichenen Staaten. Mit Ausnahme von Mauritius auf Platz 14 liegt Kenia damit jedoch durchaus im oberen Feld der Staaten südlich der Sahara, wenngleich hinter Uganda oder Ghana.
Der Wirtschaft könnten Chancen auf weiteres Wachstum bevorstehen, sollte Kenia seine Rohstoffe gewinnbringend ausbeuten können, aber wegen des Ölpreiseinbruchs von bis zu 30 Prozent allein im ersten Quartal 2020 sieht es nicht danach aus, als würden die Träume wahr werden. Im Jahr 2012 war in der Turkana-Region Erdöl gefunden, worden, und es wird vermutet, dass es sich um große Mengen handelt. Der Export hätte 2020 Fahrt aufnehmen sollen. Am 26. August 2019 wurde der erste Tanker mit 250.000 Barrel kenianischen Rohöls (rund 40 Millionen Liter) in Mombasa feierlich verabschiedet.
Auch offshore hofft Kenia auf Funde, die sich nutzen lassen. Ostafrika steht vor einem Energie Umbruch, schreibt der Economist, denn auch in den Nachbarländern wurden Öl- und Gasreserven gefunden. Uganda hat bereits vor Kenia mit der Förderung begonnen. Als Küstenland könnte Kenia vom Rohstofftransport auch der Nachbarn profitieren. Doch noch fehlen sowohl der Beweis der Wirtschaftlichkeit als auch politische und gesetzliche Rahmenbedingungen, damit aus den Funden gesellschaftlicher Reichtum entsteht. Das hängt auch vom Ölpreis ab und davon, ob der für Nigeria oder Angola so verhängnisvolle «Fluch des Rohstoffreichtums» auch im Osten Afrikas Wirkung zeigen wird.
Das wohl größte Windkraftwerk Afrikas der Lake Turkana Wind Power Ltd. ist seit 2017 am Netz und liefert nach Angaben des Betreibers mit mehr als 360 Generatoren 18 Prozent der aktuell im Land produzierten Strommenge, 310 MW. Auch die Geothermie wird weiter ausgebaut. Dezentrale Solaranlagen sollen zusätzlich dafür sorgen, dass in naher Zukunft mehr als nur ein Fünftel der
Bevölkerung elektrischen Strom beziehen kann. Doch auch konventionelle Gas- und auch Kohlekraftwerke gehören laut Energieversorger KenGen zum geplanten Mix, dessen größter Bestandteil die Wasserkraft bleiben wird.
Eine realistische Strategie, den unterirdischen Wasserreichtum eines der trockensten Länder Afrikas zu fördern, lässt leider auf sich warten. Im dürregeplagten Turkana County im Norden sind gigantische Süßwasservorkommen entdeckt worden, genug, um das ganze Land nachhaltig zu versorgen. Doch wie bei Öl und Strom dürfte neben eigentumsrechtlichen und technischen Fragen der Leitungsbau eine Herausforderung sein. Außerdem sind die Funde offenbar nur mit Aufbereitung als Trinkwasser geeignet.
Pläne für Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur sind inzwischen mit chinesischer Hilfe zu großen Teilen umgesetzt. Sie beinhalteten u.a. den Bau eines Überseehafens in Lamu sowie eine Bahnverbindung bis Juba im Südsudan, zudem Straßen, Flughäfen und Bildungseinrichtungen. Da sich die Hoffnungen auf Einnahmen aus dem Erdölgewinn bislang nicht erfüllt haben, finanziert das Land die Investitionen u.a. mit Krediten. Größter Gläubiger ist mittlerweile China, dessen Projektfinanzierung erfahrungsgemäß mit Aufträgen an chinesische Unternehmen verbunden ist, die wiederum Chinesen beschäftigen und damit dem kenianischen Arbeitsmarkt oft nur geringe Impulse geben.
Das auf einen Verkehrsinfarkt zusteuernde Nairobi setzt auf die Schiene und hat erste Pendlerzüge eingeweiht. Wie alle Zukunftsprojekte ist auch dies Teil der Vision 2030, Kenias Masterplan aus dem Jahr 2008 für den Weg in die Zukunft als Land der Mittelklasse.
Eine weitere wichtige Veränderung der jüngeren Zeit ist der Boom der Mobiltelefonie, der den Dienstleistungs- und Bankensektor geradezu revolutioniert. Bereits ca. ein Drittel des gesamten Bruttosozialprodukts des Landes wird per M’Pesa, also per Handy, transferiert, was plötzlich Menschen Zugang zu finanziellen Dienstleistungen verschafft, die darüber zuvor nie verfügen konnten. Die Banken haben teils mit regionaler Verbreitung und verbesserten Kundenangeboten reagiert.
Als Drittes ist der mehrfache Anschluss Kenias an die weltweiten Datenautobahnen über Unterseekabel hervorzuheben, der ein Potenzial für den Dienstleistungssektor enthalten könnte (u.a. Teams, Eassy, Lion1+2). Mehr als vier Fünftel der Bevölkerung sollen Zugang zum Internet haben; nur in wenigen Ländern Afrikas werden soziale Netzwerke so intensiv genutzt wie in Kenia. Allerdings sind die hohen Werte angesichts der großen Zahl der Kinder, der mangelnden Netzwerkreichweite und noch immer fehlender Smartphones nicht immer nachvollziehbar.
Generell basieren Wirtschaft und Überleben der breiten Masse auf der Landwirtschaft, die mit Blumen, Gemüse (Bohnen, Zuckerschoten, Babymais), Tee und Kaffee zu einem Viertel zum BIP beiträgt und rund zwei Drittel der Bevölkerung beschäftigt. Die Ökonomie hat entsprechend mit typischen Problemen eines afrikanischen Landes zu kämpfen: Bevölkerungsdruck, Korruption und klimatische Widrigkeiten verbinden sich mit einer strukturellen Benachteiligung im Welthandel, unvorhersehbaren Preisschwankungen und einer zu geringen Absorptionsfähigkeit des Arbeitsmarktes. Folgende Quellen liefern Überblicksdaten:
- Übersicht des Auswärtigen Amtes
- Central Bank of Kenya
- UNDP Human Development Report
- Statistiken der Weltbank
- Internationaler Währungsfonds
Wirtschaftssystem und Wirtschaftssektoren
Kenia hat seit der Unabhängigkeit auf ein kapitalistisches Wirtschaftsmodell gesetzt, das jedoch starker staatlicher Steuerung unterworfen war. Insbesondere das System der so genannten Parastatals, halbstaatlicher Unternehmen, die jedoch in Wirklichkeit Staatsunternehmen waren. Staatliche Importmonopole schufen Einfallstore für Misswirtschaft, Nepotismus und Korruption. Einen Überblick über die politische und wirtschaftliche Geschichte seit der Unabhängigkeit liefert Charles Hornsby in «Kenya. A History since Independence».
Bereits zu Beginn der 80-er Jahre vereinbarte Kenia mit der Weltbank als eines der ersten Länder ein Strukturanpassungsprogramm. Schneller als die politische Liberalisierung setzte noch in den 1990er Jahren die Regierung Moi auf Druck der Geberländer eine weitgehende wirtschaftliche Liberalisierung
um. Staatliche Vermarktungsgesellschaften für landwirtschaftliche Produkte wurden teils aufgelöst, der kenianische Binnenmarkt für ausländische Waren geöffnet.
Nach anfänglichem Enthusiasmus in der Bevölkerung über neue Konsumangebote und die Auflösung korrupter Staatsfirmen zeigte sich, dass viele Menschen zu den ‹Marktverlierern› gehörten. Trotz beachtlicher wirtschaftlicher Wachstumsraten von 5-6 Prozent schließt sich die Schere zwischen arm und reich nur minimal. In der Wertschöpfung ist der Dienstleistungssektor mit dem Devisenbringer Tourismus mit einem Anteil von nahezu zwei Drittel am BIP führend. Doch rund zwei Drittel der Bevölkerung leben nach wie vor von der Landwirtschaft, die wichtige Exportgüter wie Tee, Blumen oder Gemüse hervorbringt, darunter French Beans, die aus kaum einem deutschen Supermarkt mehr wegzudenken sind. Die industrielle Produktion ist mit ca. 16 Prozent der drittgrößte Sektor.
Wichtigste Handelspartner sind die afrikanischen Nachbarn, gefolgt von Europa. Die Strategie einer an ökonomischen Zielen ausgerichteten Diplomatie beinhaltet eine Intensivierung der regionalen Integration sowie die Positionierung Kenias als Standort für Direktinvestitionen. Seit der Jahrtausendwende hat insbesondere der Austausch mit China – vor allem im Bereich Bau und Verbrauchsgüter-Import – massiv an Bedeutung gewonnen, zum Nachteil der kenianischen Handelsbilanz. Kritisiert wird in dem Kontext, dass es offenbar zu auffälligen Begünstigungen chinesischer Auftragnehmer bei Ausschreibungen von Bauaufträgen gekommen sein soll, außerdem wurden gefälschte Importprodukte aus China moniert sowie deren mangelnde Qualität.
Lebensgrundlage Acker: Land als Opium der Massen
Die Landwirtschaft ist Kenias wichtigster Wirtschaftszweig, da die meisten Kenianer von ihr leben. Das Land ist weltgrößter Exporteur von schwarzem Tee, Produzent hochwertiger Arabica-Kaffees oder auch Ananas. Außerdem ist Kenia einer der größten Produzenten von Pyrethrum, das in Mückensprays verarbeitet wird. Der Bereich Horticulture, also Blumen und Gemüse, hat in den vergangenen 20 Jahren sehr an Bedeutung gewonnen und zeitweilig einen Exportgewinn von einer Milliarde US-Dollar generiert. Nahezu jede dritte Schnittrose in Europa kommt aus Kenia, und rund 80 Prozent der Bohnen und Erbsen aus Kenia finden Abnehmer in Europa.
Für Millionen von Subsistenzbauern ist ein kleiner Acker mit Mais die Überlebensgrundlage und oft genug auch für städtische Angestellte und Tagelöhner die einzige Form der Alterssicherung. Selbst in Nairobi hat nahezu jeder einen Acker «auf dem Land» oder hofft, einen solchen zu erwerben. Schon immer galt Land als «Opium der Massen», und das beruht nicht zuletzt auf der Wirtschaftsstruktur und dem Mangel an sozialen Sicherungssystemen. Gleichzeitig sind ungeklärte Landbesitzverhältnisse in zunehmendem Maße ein Investitionshindernis.
Die Kenia-Seiten der FAO (Ernährungsorganisation der UN) geben einen guten Überblick über die klimatischen und strukturellen Bedingungen. Das Frühwarnsystem fewsnet mit Sitz in Nairobi schlägt frühzeitig Alarm, wenn Missernten drohen. Es belegt, dass leider der Großteil des Landes in der Nahrungsmittelversorgung nicht mehr als sicher gelten kann. Auch in der sonst so fruchtbaren und hoch gelegenen Central Region finden sich hungernde Familien, denen der kleine Acker (= ca. 100 mal 50 Meter) nicht mehr zum Überleben reicht. Selbst wenn Mais- oder Bohnenreserven im Land vorhanden sind, können viele Menschen sie sich nicht kaufen. Urban Farming ist unter diesen Umständen kein Lifestyle, sondern Notwendigkeit: Angesichts der Lebensmittelpreise greifen auch Stadtbewohner zur Hacke und verwandeln z.B. den Grünstreifen in der Mitte der Stadtautobahn zum Maisfeld. Doch die Nomaden in den nördlichen und südlichen Dürregebieten haben diese Möglichkeit nicht; ihre Lebensform gilt als bedroht, der Wandel nomadischer zu sesshaften Gruppen und die teils klimabedingte Landflucht der Viehzüchter sind bereits im Gange.
Einer von mehreren Filmbeiträgen des Integrated Regional Information Network (IRIN, heute The New Humanitarian) über Anpassungsstrategien kenianischer Bauern an den Klimawandel
Seit der Unabhängigkeit hat sich die Bevölkerung auf derzeit mehr als 50 Millionen Einwohner mehr als verfünffacht. Jedes Jahr kommen bei einer Geburtenrate von ca. 2,2 % rund 1100.000 Kenianer hinzu. Das heißt, dass sich das Land nur bei steigender Produktivität im Agrarsektor selbst ernähren kann. Da die Menge an Anbauflächen kaum wachsen wird, zudem die Mechanisierung – etwa bei der wichtigen Teeernte – im Agrarbereich Einzug gehalten hat, werden die Kenianer*innen selbst bei wachsender Produktivität der Landwirtschaft zunehmend auf andere Sektoren zum Einkommenserwerb angewiesen sein.
Ein sensibles Geschäft: Tourismus
Der Tourismus ist in guten Zeiten ein bedeutender Devisenbringer. Kenia steht nicht erst seit der Verfilmung von Karen Blixens ‹Jenseits von Afrika› als Synonym für einen bestimmten Traum. Dutzende Hotelanlagen an der Küste locken mit Stränden, die viele für die schönsten der Welt halten, und auch All-Inclusive Angebote gibt es. Doch besteht auch die Möglichkeit, in Laikipia in naturnahen Lodges unterzukommen, in der Massai Mara in Zelten die Safarinächte verbringen oder auf Lamu ein Ferienhaus mieten. Wie wenige Länder Afrikas ist Kenia auf Reisende eingestellt und professionell organisiert. Auch wer bei seinem Besuch auf die Hauptstadt beschränkt ist, kann einiges entdecken.
Der Tourismus ist jedoch auch einer der verwundbarsten Wirtschaftszweige, der darüber hinaus stetige Investitionen in eine keineswegs gewisse Zukunft erfordert. Der Bombenanschlag von 1998 auf die US-Botschaft mitten im Zentrum von Nairobi mit mehr als 220 Toten und mehr als 4000 Verletzten schockierte die ganze Welt. In der Folge galt Kenia als unsicheres Land und die Buchungszahlen gingen rapide zurück. Kaum hatten sie sich erholt, griffen Terroristen 2002 ein von Israelis frequentiertes Hotel bei Mombasa an und versuchten, einen israelischen Passagierjet abzuschießen. Die Gewalteskalation nach den Wahlen 2007/08 führte zu einem erneuten Einbruch in dem Sektor, der sich inzwischen zunehmend über Gäste aus Schwellenländern und Ostasien freut. Ein Linienflug aus Südkorea wurde 2012 etabliert; chinesische Reisende sind ebenfalls anzutreffen, sodass sich die Zahl der Kenia-Besucher wieder auf 1,245.000 im Jahr erholt hatte.
Die Wahlen 2013 verliefen ohne Schaden für den Tourismus, doch statt punktueller Attacken hat Kenia nun ein chronisches Terrorproblem, sodass Safari-Reisende versucht sein könnten, nach Namibia, Tansania oder Sambia auszuweichen. Nach Anschlägen in Paris, Brüssel, Berlin und andernorts gibt es jedoch Hinweise, dass die Gäste die Risiken realistischer einschätzen als früher und sich von dem Terrorproblem allein nicht beirren lassen. Der Anschlag auf ein Hotel in Nairobi im Januar 2019 hatte nach offfiziellen Angaben keine Auswirkungen mehr auf den Sektor.
In ganz Afrika litt der Tourismussektor unter der Ebola-Katastrophe in Westafrika 2014, darunter auch der in Kenia, obwohl das Land von den Ebola-Zentren weiter entfernt liegt als Frankfurt am Main. Die Folgen für den Arbeitsmarkt und die soziale Lage der Beschäftigten im kenianischen Tourismussektor waren desaströs – an manchen Stellen war das Geschäft so stark eingebrochen, dass einstmals blühende Hotels zu Ruinen verfallen. Es kursieren Gerüchte in der Branche, dass politisch einflussreiche Financiers die Krise nutzen bzw. nicht ausreichend gegensteuerten, um Grundstücke und Immobilien an der Küste günstiger aufkaufen zu können.
Industrieller Sektor
Der industrielle Sektor Kenias ist im Vergleich der afrikanischen Länder südlich der Sahara groß, spielt jedoch international kaum eine Rolle. Die Vorkommen an Bodenschätzen sind recht gering. Allein für natürliches Soda ist Kenia mit der Magadi Soda Company (heute Teil des indischen Tata Konzerns) einer der weltweit führenden Lieferanten. Für die Global Players ökonomisch interessant wird Kenia inzwischen durch die schon gesicherten und noch vermuteten Erdölvorkommen. Wie im Sudan will China auch in Kenia langfristig bei der Rohstoffgewinnung seine Position sichern, doch anders als Uganda will Kenia westliche Unternehmen beteiligen und eine pauschale Abtretung der eigenen Rechte vermeiden.
Entgegen dem in Afrika vorherrschenden Trend der Deindustrialisierung setzt die Regierung Kenyatta auf Wertschöpfung im Land und will den Industriesektor ausbauen. In dem Kontext steht auch die Montage von VW Polos, die 2016 in einer Fabrik in Thika nahe Nairobi angeschoben wurde. Bezahlbare Autos für den heimischen Markt, versprach Staatschef Kenyatta bei der Eröffnung der Fabrik, doch mit einem Preis von 1,6 Millionen Ksh. (umgerechnet mehr als 14.000 Euro) ist der Kleinwagen für Normalverbraucher noch kaum erschwinglich.
In der verarbeitenden Industrie spielen regional die Raffinerien sowie die Kunststoffindustrie (bspw. Kenpoly) eine Rolle. Darüber hinaus vor allem die Lebensmittelindustrie, die sowohl innerhalb Afrikas als auch nach Europa und in den Nahen Osten exportiert. Kenias früher unabhängige Textilbranche hoffte auf eine Erholung als Zulieferer, spielt jedoch für die Bevölkerung kaum eine Rolle. Der lokale Textilmarkt basiert auf Mitumba, gebrauchte Textilien aus Kleidersammlungen – auch aus Deutschland. Ohne diese günstige Einkaufsmöglichkeit hätten viele Bürger Probleme, sich adäquate Kleidung zu beschaffen; außerdem schafft die Second-Hand-Kette Arbeit und Einkommen.
Wichtigstes Standbein für Produktivität und Arbeitsmarkt sind jedoch in Kenia – wie in vielen afrikanischen Ländern – die Beschäftigten im so genannten informellen Sektor, die laut National Bureau of Statistics mehr als 80 Prozent der 15,6 Millionen Beschäftigten im privaten und öffentlichen Sektor ausmachen und deren Zahl Prognosen zufolge jedes Jahr um ca. 5 Prozent wächst. Die Saga vom wachsenden Mittelstand hält der Analyst der Business Daily vor dem Hintergrund dieser Zahlen für übertrieben; das Gros der Beschäftigten habe weder Sicherheiten noch Ersparnisse – ein wichtiger Hinweis u.a. für Banken und Versicherungen.
Der Dienstleistungssektor im engeren Sinne konzentriert sich auf das Geschäftszentrum Nairobi und die Touristenhochburgen an der Küste. Ansonsten gibt es Hunderttausende von Frauen, die im Bereich «haushaltsnahe Dienstleistungen» arbeiten, nämlich als Hausmädchen. Selbst bei Kleinbauern auf dem Lande findet sich oft eine mittellose Verwandte, die von früh bis spät im Einsatz ist. Für Männer ist es wegen der Kriminalitätsraten eine Option, als Wachmann anzuheuern. Die Sicherheitsfirmen gehören zusammengenommen zu den größten Arbeitgebern des Landes, scheinen aber Frauen als Beschäftigte zumeist abzulehnen.
Im Handwerk leisten die vielen Kleinstbetriebe mit oft minimalen Mitteln Erstaunliches. «Ikea? Bau ich nach», sagt so mancher Tischler am Straßenrand, wenn ihm die Kunden entsprechende Kataloge zeigen. In jeder größeren Siedlung gibt es eine ganze Reihe von sogenannten jua kali (jua kali = «heiße Sonne», weil die meisten Handwerker unter freiem Himmel arbeiten). Millionen sind auf diese Weise im so genannten informellen Sektor tätig, ohne soziale Absicherung, aber auch ohne offizielle Steuerlast, doch deswegen oft genug Schikanen durch Behördenvertreter ausgesetzt. Mehr als 80 Prozent Beschäftigung und 33 Prozent der Wirtschaftsleistung werden dem informellen Sektor statistisch zugerechnet.
Der Handel in Kenia wurde lange von den sogenannten Asiaten dominiert, den Nachfahren der Arbeitskräfte und Händler vom indischen Subkontinent, die vor über hundert Jahren zum Bau der Eisenbahn nach Kenia gebracht wurden. Ihr Status als erfolgreiche Händler, gepaart mit einem negativen Image als Arbeitgeber, machte sie häufig zum Ziel von Angriffen und «Ausländer raus»-Parolen. Konkurrenz ist den asiatisch stämmigen Kenianern durch die ethnischen Somali erwachsen, die einen Teil des Großhandels dominieren und mit Eastleigh einen ganzen Stadtteil zu einem dynamischen Handelszentrum umgewandelt. Der Spitzname lautet «Little Mogadishu» und ist hilfreicher Anlaufpunkt für somalische Migranten. Der Ethnologe Neil Carrier hat dem Stadtteil mit seinem Buch «Little Mogadishu, Eastleigh – Nairobi’s Global Somali Hub» ein Denkmal gesetzt und beschrieben, wie Integration auch in einem ärmeren Land funktionieren und dem Gastland nützen kann.
Die Texte stammen vom Länderportal der GIZ, welches vom Netz genommen ist. Verfasser ist der Historiker und Journalist Stefan Ehlert. Die Urheber wurden informiert, dass auf meiner Tourismusseite zu Kenia die Inhalte veröffentlicht werden.